18. Juli 1915: Der Spielverein im Finale des WSV-Kriegspokals
von Martin Blasius
Titelgewinne hat der MSV in seiner Historie bekanntlich nur wenige erreicht – und doch ist der Rückblick auf manche Höhepunkte heute getrübt. Gängige Vereinsgeschichten melden für die Saison 1914/15 etwa gleich zwei Erfolge: Den stolzen Titel des Ruhrbezirksmeisters und den Kriegspokal des Westdeutschen Spielverbandes (WSV) habe man errungen, so schon die Festschrift zum 25-jährigen Bestehen 1927. Zeitgenössische Presseberichte zeigen allerdings, dass dies so nicht ganz richtig ist. Einen beachtlichen Erfolg haben die Zebras damals aber trotzdem errungen.
Hinein in den Sommer 1915: Angesichts des schon fast ein Jahr andauernden Ersten Weltkriegs prägen Kriegswirtschaft und Rationierungen auch den Sport, insgesamt werden 350 Zebras an die Fronten ziehen – mehr als 75% der Vereinsmitglieder. 45 von ihnen sollen bis 1918 ihr Leben lassen, über 200 währenddessen Auszeichnungen erhalten. 1914/15 kann der gerade ins Oberhaus aufgestiegene MSV trotz der Lage zwei Mannschaften stellen, im Ruhrbezirk (dem Westteil des Ruhrkreises mit Duisburg und Essen) kommt aber nur eine Kriegsliga mit fünf Teams zum Austrag. Bezirksmeister wird dabei nicht der MSV, sondern der VfvB Ruhrort:
Da die Endrunde der Westdeutschen Meisterschaft (wie bis 1918 generell) entfällt, veranstaltet der WSV einen Kriegspokal: Im Ruhrbezirk treten vierzehn Clubs an (nicht aber Meister Ruhrort), dazu einer aus dem Bezirk Bochum/Gelsenkirchen. Der Spielverein kommt zunächst per Freilos weiter, dann geht es gegen zwei Topteams der dritten Liga 1913/14: In der 1. Zwischenrunde schlagen die Zebras am 6. Juni Union Hamborn auf der Anlage des VfvB Ruhrort mit 3:2 (3:1), wie der Duisburger General-Anzeiger (DGA) berichtet.
Zwei Wochen später bezwingt man im Halbfinale auf heimischem Geläuf den BV Altenessen 06 in einer laut der genannten Zeitung von Anfang bis zu Ende sehr spannenden Partie: Erst geht der MSV in Führung, aber kurz vor der Pause egalisieren die Gäste. In der zweiten Hälfte haben die Blau-Weißen dann bedeutend mehr vom Spiel, bester Mann ist ihr Mittelstürmer, der 13 Minuten vor Schluß durch zwei kurz hintereinander fallende Tore den Sieg sichert.
Das Schlußrundenspiel findet am 27. Juni ab 17:15 Uhr beim Duisburger Spielverein statt, Gegner des MSV ist Preußen Duisburg. Ungefähr gleich stark, liefern die Teams sich einen harten Kampf, obwohl die Preußen ab der zweiten Hälfte nur noch zu zehnt spielen. Im ersten Abschnitt sind sie anfangs besser, ihre Angriffe bleiben aber stets eine Beute der Verteidigung Meiderichs. Da auch die Blau-Weißen zu ungenau abschließen, steht es zur Halbzeit 0:0.
Im zweiten Teil bläst der MSV zum Angriff, scheitert aber am Keeper der Preußen. Nach 55 Minuten gehen diese in Front, bald jedoch gleicht der Spielverein durch seinen Linksaußenstürmer aus. In der nötigen Verlängerung (laut Presse 2 mal 15 Minuten, 1927 las man dagegen von nahezu 2 ½stündiger Spielzeit) macht Meiderichs Mittelstürmer früh das 2:1, doch schon in der 5. Minute fällt der erneute Ausgleich. Wenig vor dem Ende kommen die Zebras bei einem Durchbruch durch einen unerwarteten Schuß dann aber zum entscheidenden 3:2.
Als Pokalsieger des Ruhrbezirks, wie es am 6. Juli im General-Anzeiger heißt, erreicht man die Endrunde um den Kriegspokal des Ruhrkreises mit seinen vier Bezirken. Im Halbfinale setzt sich der Sieger im Sauerland, der Eppenhausener FC 1911 aus Hagen (1914 Meister der dritten Liga), am grünen Tisch gegen Langendreer 06 aus dem Bezirk Dortmund durch. Der Spielverein zieht kampflos ins Endspiel ein, da Bochum/Gelsenkirchen keinen Vertreter stellt.
Das Finale steigt am Sonntag dem 18. Juni um 16:30 Uhr, laut Rhein- und Ruhrzeitung (RRZ) auf neutralem Platze – der aber nicht sehr „neutral“ scheint: Spielort ist die Anlage des SC Hohenzollern, des Ortsrivalen des MSV an der Untermeidericher Düppelstraße. Die meisten Anwesenden dürften so zum Spielverein halten, mancher Hohenzollern-Anhänger aber auch zum in der Presse Fußballklub Hagen oder Hagener Fußballklub genannten Gegner. Schiedsrichter ist Artur Sonderland aus Krefeld. Im Kaiserhof am Meidericher Bahnhof tagt morgens zudem der Bezirkstag des Verbandes. Zur im DGA angekündigten Aufstellung der Zebras liefert das gezeigte Mannschaftsfoto sechs Gesichter:
Trotz des anhaltenden Regens erscheint laut DGA eine ansehnliche Zuschauermenge, auch der Platz ist in gutem Zustande. Obwohl die Zebras zunächst gegen Sonne und Wind spielen, sind sie offensiv sofort fast ständig im Vorteil, schreibt die RRZ. Der General-Anzeiger schildert: Hagens Torhüter muß verschiedentlich eingreifen, was ihm stets mit viel Geschick und etwas Glück gelingt. Mehrere Versuche gehen gegen die Querlatte, andere knapp daneben. Vereinzelte Durchbrüche der in schwarz-weiß auflaufenden Gäste werden frühzeitig unterbunden. Da Meiderich den wohlverdienten Erfolg jedoch verpasst, steht es zur Pause 0:0.
Im zweiten Abschnitt herrscht vollständige Ueberlegenheit: Die Zebras blasen sofort zum Angriff, Mittelstürmer Gerling besorgt in der 55. Minute die Führung, Linksaußen Hastert nach Flankenlauf und starkem Schuss kurz darauf das 2:0. Und während die Gäste wenig über ihre Hälfte hinaus kommen, köpft der Halblinke Caspers nach Vorlage von Rechtsaußen Himmelberg das 3:0. Einige Minuten später trifft der halbrechte Stürmer Thomas, in der 74. Minute nochmals. Beim 5:0 bleibt es, bis der in einwandfreier Weise wirkende Sonderland abpfeift.
Damit ist der MSV „Kriegspokalsieger“ immerhin für den gesamten Ruhrkreis, wenn auch nicht die übrigen Gebiete des WSV (Rheinischer Nord- und Südkreis, Westfalen und Hessen). Den klaren Finalsieg erklärt der DGA so: Man stellte eine ausgeglichene Mannschaft, die Verteidigung spielte sicher, die Stürmerreihe führte ein schönes Zusammenspiel vor. Hagen schien dagegen einen schlechten Tag zu haben. Es sollte der einzige Erfolg der Zebras im Ersten Weltkrieg bleiben, für die es in der Weimarer Republik aber weiter aufwärts gehen würde.
Quellen
- Krieg und Sport. Fußballsport, in: Duisburger General-Anzeiger, 01.05.1915 (Nr. 119), S. 5.
- Fußballsport. Pokalspiele, in: Duisburger General-Anzeiger, 07.06.1915 (Nr. 154), S. 5.
- Fußballsport, in: Duisburger General-Anzeiger, 21.06.1915 (Nr. 168), S. 6.
- Krieg und Sport. Fußballsport. Kriegspokalspiele, in: Duisburger General-Anzeiger, 28.06.1915 (Nr. 175), S. 6.
- Fußballsport. Kriegspokal-Endspiele im Ruhrkreis, in: Duisburger General-Anzeiger, 06.07.1915 (Nr. 183), S. 6.
- Sport und Spiel. Kriegspokalspiele, in: Rhein- und Ruhrzeitung, 16.07.1915, Abend-Ausgabe (Nr. 359 ), S. 2.
- Sport. Fußballsport, in: Duisburger General-Anzeiger, 17.07.1915 (Nr. 194), S. 6.
- Sport. Fußballsport. Pokalspiel, in: Duisburger General-Anzeiger, 19.07.1915 (Nr. 196), S. 5.
- Sport und Spiel. Fußballsport, in: Rhein- und Ruhrzeitung, 19.07.1915, Morgen-Ausgabe (Nr. 363), S. 2.
- 25 Jahre Meidericher Spielverein. Sport-Werbewoche vom 21. bis 29. Mai 1927. Duisburg 1927.
- Dahmen, Dagmar u. a.: MSV Duisburg - Die Chronik: Wo Meiderich siegt... 2. Aufl. Duisburg 2005 [1. 2002].
- Hirschfeld, Klaus: Ruhrbezirk 1915, o. D., www.fussball-historie.de/Westdeutschland/Ruhrbezirk1915
- MSV-Archiv: Mannschaftsfotos 1902-1920, o. D., https://msv-archiv.de/sammlung/mannschaftsfotos/19021920.
- SpVgg Hagen 11 e. V.: Chronik, o. D., www.hagen11.de/verein/chronik.
- Vinschen, Klaus-Dieter: Erster Weltkrieg und Weimarer Republik, in: Heid, Ludger u. a.: Kleine Geschichte der Stadt Duisburg. 4. Druck Duisburg 1996, S. 253–308.
- Wick, Uwe: Wo ein ball ist, ist auch ein game. Der Fußball „bürgert“ sich ein, in: Hering, Hartmut (Hg.): Im Land der tausend Derbys. Die Fußball-Geschichte des Ruhrgebiets. Göttingen 2017, S. 23–42.
Das gezeigte Mannschaftsfoto befindet sich im von Wolfgang Berndsen privat geführten MSV-Archiv.
Stand: 13.03.2021
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