Internationaler Besuch in Meiderich und was sind eigentlich Wettspiele?
Am 1. Weihnachtstag 1919 hatte sich der MSV, nach Fusion mit dem Meidericher Turnverein 1880 als Meidericher Turn- und Spielverein von 1880 bekannt, die Stuttgarter Sportfreunde zu einem Wettspiel eingeladen. „Wettspiel“ war eine Bezeichnung, die in der frühen Geschichte des deutschen Fußballs und den 1920ern üblich war. So philosophierte schon der Fußballpionier Konrad Koch in einem Aufsatz 1894 (6 Jahre vor Gründung des DFB) über den Sinn und Charakter von „Wettspielen“. Koch, der in Braunschweig Gymnasiallehrer war, revolutionierte den sehr turnerisch geprägten Schulsport der Kaiserzeit durch die Einbeziehung von Ballspielen wie Fußball. Diesen ließ er von seinen Schülern erstmals 1874 spielen. Von DER Geburtsstunde des deutschen Fußballs kann jedoch keine Rede sein, wie der Zufallsfund des Historikers Lothar Wieser belegt (Vgl.https://www.deutschlandfunk.de/sport-im-kaiserreich-zufallsfund-schreibt-100.html). Kochs theoretischen Überlegungen gefolgt sollten Wettspiele die Schüler durch regelmäßige Wettkämpfe dazu inspirieren häufiger und besser zu spielen. Dabei wurde schon an Zuschauer gedacht, jedoch nicht wie heute zahlende Fußballinteressierte, sondern andere Schüler. Sie sollten damit vom Fußball begeistert werden und die Möglichkeit bekommen sich von den Spielern einige Tricks abschauen zu können. Gleichzeitig sollte die Präsenz von Zuschauern die Spieler zu besseren Leistungen anspornen. Dementsprechend sollten Wettspiele keine Spaßveranstaltungen sein, sondern mit vollem Einsatz und unter strenger Einhaltung der Regeln geführt werden. So sollten die Schüler inspiriert werden auch außerhalb der Schule zuspielen und Vereine zu bilden.
Ob die Schüler, welche sich 1902 unter den Gründern des Meidericher Spiel=Vereinsbefanden, den Fußball in der Schule kennenlernten ist unklar. Dass auf dem Schulhof gespielt wurde, erscheint angesichts des Fußballverbotes auf dem Schulhof der damaligen städtischen Realschule in Meiderich (heute Max-Planck-Gymnasium) als wahrscheinlich. Im Gegensatz dazu waren Fußball und andere Ballspiele am Königlichen (heute Landfermann-) Gymnasium Duisburg verbreitet.
Mit der Verbreitung des Fußballs in Vereinen wurden die zuschauenden Mitschüler von Schaulustigen, Fußballinteressierten und schließlich zahlenden Zuschauern und Fußballfans ersetzt. Der Begriff des Wettspiels blieb längere Zeit bestehen und erfreute sich großer Verbreitung. So bewarb der Sportartikelhersteller Deutsche Signalflaggenfabrik aus Karlsruhe seinen Fußball der Marke Hirsch als Wettspielball, der stets bei Wettspielen verwendet werden solle. Die Anzeige erschien erstmals in der 2. Ausgabe des Kicker und wurde in der abgebildeten Variante um eine Empfehlung des M.T.K. Budapest ergänzt. Ob der Name des Balles eine bewusste Anspielung zu der Zeit in Karlsruhespielenden, ehemaligen deutschen Nationalspieler Julius Hirsch war, bleibt offen. Da dieser seit seiner Kindheit, mit Unterbrechung, beim Karlsruher FV spielte, dürfte sein Name den Karlsruher Fußballfreunden ein Begriff gewesen sein. Zumal er Teil der 1910er Meistermannschaft des KFV war. Mit der M.T.K. Budapest war der, nennen wir es aus der heutigen Perspektive, Werbepartner für die Leserschaft des Kicker klug gewählt. In den vorangegangenen Ausgabenwurde bereits über die Tournee und die außergewöhnliche Spielstärke des ungarischen Meisters berichtet. Der M.T.-K. Budapest gehörte mit seinen 8 Meisterschaften (1920 mit eingerechnet) zu den erfolgreichsten Mannschaften des Landes und dominierte den ungarischen Fußball während des ersten Weltkrieges und den folgenden Jahren. Diese Werbeanzeige ist als Vorbote dessen zu betrachten, was später alltäglich werden sollte: Der werbende Fußball. Anfangs noch für Sportprodukte wie den Wettspielball Marke Hirsch, im Laufe der 20er Jahre auch für andere Produkte des „Sportlerbedarfs“ wie Bier und Zigaretten. Doch auf diese Entwicklung soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Zurück zum Meidericher SV!

Abbildung 1 aus: Der Kicker, Nr. 3 (1920) 28.07.1920, hg. v. Walther Bensemann, Konstanz u. Reutlingen, S. 25.

Abbildung 2 aus: Duisburger General-Aneziger, Nr. 351 (1919) 22.12.1919, S. 4.
Dieser hatte sich, wie einleitend bereits erwähnt, die Stuttgarter Sportfreunde eingeladen. Mit ihnen kam der Internationale, oder wie wir heute sagen würden Nationalspieler, Karl Burger. Zwischen 1908 und 1919 war Karl Burger für die SpVgg Fürth aktiv, mit der 1914 Deutscher Meister wurde. Später sollte sich sein Weg erneut mit dem unseres MSV kreuzen, doch das ist eine Geschichte für ein anderes Mal. Neben dem Meidericher Turn- und Spielverein, oder kurz MTuS, spielten die Stuttgarter am Folgetag gegen Union Hamborn, wie aus der abgebildeten Voranzeigehervorgeht. Diese befand sich auf der letzten Seite der Ausgabe ganz unten. In der Regel wurden solche Anzeigen, zumindest was den MSV betrifft, nur zu wenigen Spielen geschaltet. Dies dürfte auf die hohen Kosten zurückzuführen sein, die der MSV hatte, wie die Spielankündigung aus dem Duisburger General-Anzeiger vermerkt. Bei diesen Kosten handelte es sich um die Prämie, die den Stuttgartern für das Spiel gezahlt wurde. In den 20er Jahren eine beliebte Methode, um die Vereinskassen zu füllen. Besonders beliebt waren Reisen ins Ausland. Die damit „erspielten“ Devisen waren, bedingtdurch Inflation nach dem 1. Weltkrieg, schwankungssicherer als die heimische Währung. Für die Platzvereine stellte dies eine Gelegenheit dar das Stadion mit einem attraktiven Gegner zu füllen, war doch das Zuschauerinteresse bei den lokalen Ligaspielen geringer. Damit sich das Spiel nicht zu einem Verlustgeschäft für den MSV entwickelte wurde der Eintrittspreis auf 2 M[ark] festgesetzt. Ob es sich dabei um einen hohen Preis für ein Fußballspiel in Duisburg handelte, muss an dieser Stelle offenbleiben. Funde von Eintrittspreisen aus dieser Zeit sind meist Zufallsfunde, was eine systematische Untersuchung erschwert.

Abbildung 3 Vorderseite Stadionzeitung (aus der Sammlung Willi Blomenkamp)

Abbildung 4 Rückseite Stadionzeitung (aus der Sammlung Willi Blomenkamp)
Als Highlight hat sich eine Stadionzeitung von dem Spiel erhalten. Sie befindet sich in der Sammlung von MSV Museum-Mitglied Willi Blomenkamp. Aus heutiger Sichtähnelt diese Zeitung, die für einen Preis von 20 Pfennig erworben werden konnte, eher einem Flyer. Die Stadion- und Sportpublizistik steckten noch in ihren Kinderschuhen. Das über 100-jährige Exemplar ist für sein Alter gut erhalten, jedoch beeinträchtigen die auf den Bildern erkennbare längs verlaufende Falte und Klebeband die Lesbarkeit. Auf der Vorderseite wird über die Paarung, sowie die voraussichtliche Aufstellung der Mannschaften. Auffällig ist dabei die heute eher unübliche 2-3-5-Formation beider Mannschaften, welch ein der Zeit die Norm darstellte. Die Rückseite informiert über die Spieler der Stuttgarter Sportfreude und eine kurze Beschreibung der Meidericher Mannschaft, welche mit 6 (!) Spielern aus der Städtemannschaft verstärkt wurde. Der bereits erwähnte Karl Burger wird als zuletzt für den deutschen Meister, Spielvereinigung Fürth, tätiger Spieler mit 13 Länderspielen vorgestellt. Dass die Mannschaft der Stuttgarter bereits wiederholt im Ausland spielte wird hier ebenso erwähnt, wie in der Vorberichterstattung des Duisburger General-Anzeiger. Die vorherigen Ergebnisse der Stuttgarter sind durch den Zustand des Objekts leider nur fragmentarisch und daher nicht mit Gewissheit zu entziffern. Die Ergebnisse des M. S. V. hingegen sind lesbar. Die Partie gegen die Norden-Nordwest in Berlin wurde bereits an anderer Stelle genauer beschrieben (Vgl.https://www.msv-museum.de/virtuelles-museum/1910/historie/1919-die-zebras-und-die-hauptstadt-erste-begegnungen-mit-berliner-clubs-1919-1922/). Auch ein Spiel gegen Arminia Hannover wird erwähnt, welches der MSV mit 3:0 für sich entscheiden konnte. Interessant, dass sich die Verantwortlichen des Meidericher SV in der acht Jahre später erscheinenden Festschrift zum 25-lährigen Bestehen des MSV an ein5:0 gegen den norddeutschen Meister Arminia-Hannover erinnern. Welches Ergebnis nun stimmt lässt sich momentan nicht klären, da die Duisburger und Hannoveraner Lokalpresse nicht über das Spiel berichteten.
Über Weihnachtsspielgegen die Stuttgarter Sportfreunde hingegen informierten sowohl die Duisburger als auch die Stuttgarter Presse. So berichtet das Stuttgarter Neues Tageblatt von der Weihnachtsreise der Stuttgarter Turn- und Sportfreunde 1874, während die Süddeutsche Zeitung de facto nur das Ergebnis des Spiels gegen den F.-C.Duisburg-Meiderich bekannt gab. Aus der auf der Stadionzeitschrift abgebildeten Aufstellung der Stuttgarter mussten Benz, Seemann und Walter zu Hause belieben, wobei Walter jedoch von derselben Zeitung im Spielbericht erwähnt wird. Entweder die Gästeverfügten über (mind.) zwei Walters oder das Stuttgarter Neue Tageblatt brachte hier Spieler durcheinander. Für die in Stuttgart gebliebenen fuhren 8 Ersatzspieler mit.
An den inmitten von Zechen und Fabriken gelegene[n] Platz, wie das Stuttgarter Neue Tageblatt seinen Lesern Meiderich beschreibt, kamen zwischen 3. und 4.000 Zuschauer. Sowohl Zuschauer als auch Spieler hatten unter schlechtem Wetter zu leiden. Die Stuttgarter konnten mit ihrem Kombinationsspiel die Oberhand gewinnen, doch der aufgeweichte Bodenließ viele Angriffe erliegen. Nach den ersten 45 Minuten führten die Gäste mit 2:1. Der zwischenzeitliche Ausgleichstreffer der Meidericher sorgte in der Stuttgarter Presse für Protest. Es wurde angezweifelt, dass der Torwart der Sportfreunde mehr als zwei Schritte mit dem Ball in der Hand gemacht habe. Der Schiedsrichter hatte dafür einen Freistoß 8 Metern vor dem Tore gegeben, den der MSV zum Ausgleich nutzte. Kurz vor der Pause konnten die Stuttgarter mit nach einem Zusammenspiel ihrer drei Innenstürmererneut in Führung gehen. Torschütze Zetsche wurde im Vorfeld als gefährlicher Durchbrecher vorgestellt, der zuletzt für Wacker-Leipzig spielte.
Nach der Pause waren die Gastgeber stärker und konnten nach 5 Minuten ausgleichen. Die Stuttgarter Presse nimmt dabei den Torhüter in Schutz, welcher durch Regen und Wind in der Sicht behinder[t] war. Man könnte fast meinen eine höhere Macht hätte sich bei den Meidericher Toren gegen die Stuttgarter verschworen. Doch die Stuttgarter konnten durch einen Treffer von Baumeister, der zu den Ersatzspielern zählte, wieder in Führung gehen. In der Restzeit des Spiels folgten noch Chancen auf beiden Seiten, doch machten Platz und Regenschauer es den Spielern schwer. Am Ende blieb es beim Stand von 3:2 für die Stuttgarter Sportfreunde. Der Duisburger Presse bleiben sie als eine sehr fair spielende Mannschaft mit famos[r] Ballbehandlung in Erinnerung. Mit ihrer süddeutschen Spielweise konnten sie sie Zuschauer begeistern, auch wenn die Bodenverhältnisse kein besseres Spiel zuließen. Ex-Nationalspieler Burger konnte seinem Namen gerecht werden, da sind sich Duisburger und Stuttgarter Presseeinig. Fast die gesamte Stuttgarter Mannschaft gefiel dem DGA und auch die Meidericher Mannschaft hatte […] einen guten Tag. Besonderes Lob gab es für Verteidiger Haverkamp, der als bester Mann des Platzes galt (laut DGA).

Abbildung 5 Ausschnitt aus dem Nachlass Wende
Am Folgetag spielten die Stuttgarter Sportfreunde gegen Union Hamborn. Burger war noch vom Spiel gegen den MSV angeschlagen und konnte nicht in vollem Maße mitwirken. Trotz dessen konnten die Gäste ihr süddeutsches Kombinationsspiel voller zur Geltung bringen, auch dank trockenem Wetter und Platz. Gegen die junge Hamborner Mannschaft mussten sie sich 2:3 geschlagen geben. Gepfiffen wurde das Spiel von Schiedsrichter Hans Wende, Mitglied des MSV und zeitweise Geschäftsführer der Fußballabteilung. Aus seinem Nachlass, eingeklebt in den Fragmenten eines Erinnerungsalbums, ist dieses Bild von den Mannschaften überliefert. Mit einem X wurde Karl Burger auf dem Bild markiert. Für alle die sich schwer tuen bei der Entzifferung der Bildunterschrift, dort wurde vermerkt Sportfreunde Stuttgart mit x Karl Burger beim Sportverein Union Hamborn. Schiri: Wende. Wende selbst dürfte ganz rechts auf dem Bild, als einziger mit heller Hose und dunklem einfarbigem Trikot, stehen (Vgl. dazu die Mannschaftsbilder von 1916/17; 1925/26 unter:https://msv-archiv.de). Als Fazit für die Weihnachtsreise zog das Stuttgarter Neues Tageblatt: Die Sportfreunde konnten das Bewußtsein mit nach Hause nehmen, den süddeutschen Fußballsport würdig vertreten und insbesondere die westdeutsch-süddeutschen Beziehungen in jeder Weise gefördert zuhaben.
Quellen- und Literaturverzeichnis
11 Freunde. Verlorene Helden von Gottfried Fuchs bis Walther Bensemann – Die Vertreibung der Juden aus dem deutschen Fußball nach 1933, Sonderbeilage des DFB-Journal Nr. 1 (2014) nach:https://www.dfb.de/news/detail/11-freunde-und-kulturstiftung-erinnern-an-juden-im-deutschen-fussball-55452/,abgerufen unter:https://www.dfb.de/fileadmin/_dfbdam/13724-11F_148_beilage_gesamt.pdf.
25Jahre Meidericher Spielverein. Sport-Werbewoche vom 21. bis 29. Mai1927, Duisburg 1927.
Duisburger Sportzeitung, in: Duisburger General-Anzeiger. Tageszeitung für das niederrheinische Industriegebiet, Nr. 357 (1919), 29.12.1919, S. 2.
Der Kicker, Nr. 1-3 (1920), hg. v. Walther Bensemann, Konstanz u.Reutlingen.
Meidericher Turn- und Spielverein von 1880: Liga-Wettspiel. Fußballverein Stuttgart[er] Sportfreunde 1896 e. V. I gegen die []mannschaft desMeidericher Turn- u. [Spi]elvereins von 1880 e. V. I, Duisburg 1919.[Aus dem Bestand von Willi Blomenkamp]
Süddeutsche Zeitung. Morgenblatt für nationale Politik und Volkswirtschaft, Nr.352 (1919), 30.12.1919, S. 5.
Weihnachtsreise der Stuttgarter Turn-und Sportfreunde 1874, in: Stuttgarter Neues Tagblatt, Nr. 659(1919), 30.12.1919 (Morgen Ausgabe), S. 5.
Nachlass Hans Wende, im Besitz des MSV Museum.
Blasius, Martin: Die Anfänge des Meidericher Spielvereins: Ein Stück Duisburger Stadtgeschichte, in: Rhein-Mass. Geschichte, Sprache und Kultur Band 9, hg. v. Jörg Engelbrecht, Simone Frank, Ralf-Peter Fuchs und Christian Krumm,Hamburg 2019, S. 177-194, abgerufen unter:https://duepublico2.uni-due.de/servlets/MCRFileNodeServlet/duepublico_derivate_00070601/Rhein_Maas_9.pdf#page=178&zoom=100.
Eggers, Erik: Fußball in der Weimarer Republik, Kellinghusen 2018.
Eggers, Erik: Zufallsfund schreibt Fußballgeschichte neu, in:https://www.deutschlandfunk.de/sport-im-kaiserreich-zufallsfund-schreibt-100.html,14.02.2012, abgerufen am 30.10.2023.
Grüne, Hardy: Enzyklopädie der europäischen Fußballvereine, Kassel 1992.
Hoffmann, Eduard: „Fußlümmelei“ aus England, in:https://www.deutschlandfunk.de/fussluemmelei-aus-england-100.html,13.04.2011, abgerufen am 30.10.2023.
Koch, K.: Der Nutzen der Wettspiele, in: Jahrbuch für Jugend- und Volksspiele, hg. v. E. von Schenckendorff; F. A. Schmidt, 3. Jahrgang, Leipzig 1894, S. 38-43,abgerufen unter:https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/koch_wettspiele_1894?p=1.
Kunzel, Michael: Die Inflation, Stand:14.09.2014, abgerufen unter:https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/innenpolitik/inflation,abgerufen am 14.11.2023.
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